Der Wickeltisch – ein wichtiger Lernort

„Hanna, kannst du schnell mal den Mino wickeln? Louis und Raphael müssen auch noch!“ Solche hektischen Anweisungen sind im Kita-Alltag keine Seltenheit. Oft erscheint das Wickeln als banales, gar lästiges Ritual, dem bei Personalmangel und vielen Verpflichtungen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Doch das Wickeln bietet weit mehr als nur die reine Pflege – es ist ein wertvoller Moment für die Entwicklung der Kinder und der Wickeltisch ein bedeutender Lernort.

Der Wickeltisch – ein wichtiger Lernort

Der Wickeltisch ist weit mehr als ein Platz für die reine Hygiene. Hier erleben Kinder intensive Momente der Zuwendung, der Kommunikation und des Lernens. Die enge Interaktion zwischen Fachkraft und Kind bietet zahlreiche Möglichkeiten, verschiedene Entwicklungsbereiche zu fördern.

Körperwahrnehmung

Die menschliche Haut ist das größte Organ unseres Körpers und umfasst die Dermis, die Epidermis und eine subkutane Fettschicht. Sie ist nicht nur Schutzbarriere, sondern auch ein Kommunikationsmedium, das den inneren Zustand eines Menschen widerspiegelt. Unsere Haut fühlt ständig – selbst im Schlaf reagieren wir auf Berührungen und Temperaturunterschiede. Sie ist übersät mit Millionen von Druck-, Temperatur- und Schmerzrezeptoren, die Informationen an unser Gehirn weiterleiten. Berührungen, Temperaturveränderungen und die Beschaffenheit von Materialien werden über die Haut wahrgenommen und führen zu vielfältigen Reaktionen wie Gänsehaut oder Erröten. Für Kleinkinder ist die Haut ein zentrales Kommunikationsorgan. Durch Berührungen erfahren sie, wie die Person, die sie hält, ihnen gegenüber eingestellt ist. Der Tastsinn wird deshalb als „Mutter der Sinne“ bezeichnet. 

Förderung der Wahrnehmung

Während des Wickelns werden wichtige Sinne immer wieder angesprochen und gefördert. Lassen Sie Raum und Zeit für diese Sinneseindrücke, indem Sie das Kind entsprechend stimulieren. Nutzen Sie verschiedene Materialien wie Bürstchen, Igelbälle, weiche Pinsel oder unterschiedlich raue Waschlappen, um die taktile Wahrnehmung zu fördern. Berührungen werden als elektrische Signale an das Gehirn weitergeleitet, das diese Informationen verarbeitet und ein Bewusstsein für Berührungen schafft.

Sprachentwicklung

Die Sprachentwicklung ist eine der wichtigsten Aufgaben im Kleinkindalter. Kinder sind von Geburt an in der Lage, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren und Botschaften zu senden. Als Bezugserzieherin sollten Sie beim Wickeln auf die kleinsten Äußerungen des Kindes achten und darauf reagieren. Nur wenn das Kind spürt, dass ihm interessiert zugehört wird, bleibt es motiviert und entwickelt sich zu einem aktiven Gesprächspartner. Besonders auf dem Wickeltisch, einer der wenigen Eins-zu-Eins-Momente im Kita-Alltag, können Kinder beginnen, ihre ersten Worte zu formulieren oder einfache Sätze zu sprechen.

Reaktionen und Kommunikation fördern

Fordern Sie die Kinder zur Reaktion und Kommunikation auf, indem Sie Fragen stellen wie: „Darf ich dich jetzt wickeln?“, „Geht es dir gut?“ oder „Möchtest du eine neue Windel haben?“. Erklären Sie dem Kind, was Sie tun: „Schau mal, die Creme hier, riech doch mal, wie sie duftet“, „Hier, halt einmal das Höschen“ oder „Nun müssen wir den Popo sauber machen“. Jede Handlung kann sprachlich begleitet werden, was zur Wortschatzbildung beiträgt und die Kommunikation fördert.

Pädagogische Haltung

Ihre pädagogische Grundhaltung ist entscheidend für eine positive Sprachentwicklung. Blickkontakt, langsames und deutliches Sprechen unterstützen die Lautbildung und Artikulation der Kinder. Mimik und Gestik unterstreichen Ihre Aussagen und zeigen den Kindern, dass Sie selbst Freude an der Sprache haben. Nutzen Sie Ihre Stimme, um die Aufmerksamkeit der Kinder zu gewinnen und sie zu motivieren.

Nonverbale Interaktion

Achten Sie darauf, die Kinder nicht zu überfordern. Ihre sprachliche Begleitung sollte nicht als Ablenkung dienen, sondern die Freude an der gemeinsamen Zeit betonen. Lächeln, Blickkontakt und kleine Finger- oder Kitzelspiele machen das Wickeln zu einem positiven Erlebnis. Viele Kinder, die in der Gruppe eher still sind, beginnen oft auf dem Wickeltisch zu erzählen, da sie die intime Situation mit der Bezugsperson genießen.

Die sensible Berührung

Beim Wickeln berühren Sie das Kind permanent. Achten Sie darauf, dass diese Berührungen sanft und liebevoll sind, um dem Kind ein Gefühl von Sicherheit und Wertschätzung zu vermitteln. Feste Berührungen geben dem Kind das Gefühl von Stabilität, während sanfte Berührungen Zärtlichkeit ausdrücken. Diese Berührungen sind wichtig für die ganzheitliche Entwicklung des Kindes.

Regeln beim Wickeln

Damit Kinder Berührungen als angenehm empfinden, sollten Sie folgende Regeln beachten:

  1. Respektieren Sie die Grenzen des Kindes. Wenn es nicht berührt werden möchte, akzeptieren Sie das.
  2. Stellen Sie eine vertrauensvolle Beziehung her, bevor Sie das Kind berühren.
  3. Informieren Sie das Kind immer vorher, was Sie tun werden, damit es sich auf die Berührung einstellen kann.

Insgesamt zeigt sich, dass der Wickeltisch ein bedeutender Lernort ist, der viele Entwicklungsbereiche des Kindes fördert und stärkt. Die bewusste und respektvolle Gestaltung dieser Momente kann nachhaltig zur positiven Entwicklung der Kinder beitragen.

Quellenverzeichnis

  • Günster-Schöning, U. (2018). Ich bin Erzieher*in! Superkräfte versus berufliche Realität, Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, S. 45f

Ursula Günster Schöning ist Prozessbegleiterin und systemische Organisationsentwicklerin, Senior-Coachin QRC und pädagogische Koordinatorin. Als Sozialfachwirtin, Erzieherin und Führungskraft war sie in der Elementarpädagogik tätig. 2006 gründete sie das Fortbildungsinstitut ERFOR und begleitet seitdem Teams bei Veränderungsprozessen. Zudem arbeitet sie als Weiterbildnerin, Speakerin, Moderatorin und Autorin.

Webseite: www.ursula-schoening.de | Mail: info@ursula-schoening.de

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