Kinder lieben es zu malen, zu kritzeln, mit Farbe zu schmieren… Spuren zu hinterlassen. Diese Leidenschaft beginnt oft schon im Kleinkindalter, wenn sie die ersten Kritzeleien aufs Papier bringen. Das Malen bietet ihnen eine besondere Art der Kommunikation und Selbstdarstellung, die weit über das hinausgeht, was sie mit Worten ausdrücken können. Es ermöglicht ihnen, ihre Fantasie auszuleben, ihre Gefühle zu verarbeiten und ihre Erlebnisse zu reflektieren. Zudem trägt das Malen wesentlich zur kognitiven, motorischen und emotionalen Entwicklung bei. In einer ruhigen und unterstützenden Umgebung können Kinder durch ihr schöpferisches Tun nicht nur ihre Kreativität entfalten, sondern auch ihr Selbstbewusstsein stärken. Verschiedene Studien und pädagogische Beobachtungen bestätigen die bedeutende Rolle des Malens für die kindliche Entwicklung und betonen, wie wichtig es ist, dass Kinder ausreichend Gelegenheit und Materialien zum Malen und kreativem Gestalten erhalten.
Ein Buch, das diese Aspekte näher beleuchtet, ist von Irenäus Eibl-Eibesfeldt: „Kinderzeichnungen: Entwicklung, Bedeutung, Diagnose“. In diesem Werk wird umfassend erklärt, wie und warum Kinder malen und welche Entwicklungsprozesse dabei gefördert werden. Unabhängig vom Buch möchte ich hier einen kleinen Einblick in die Welt des Malens und der Malentwicklung geben.
Alle Kinder malen gerne!?
Denn das Malen ist für Kinder weit mehr als nur Kritzeln und Schmieren. Es bietet ihnen die Möglichkeit, ihren Alltag und ihre Gefühle zu verarbeiten. Kinder malen Erlebnisse oder drücken mit ihren Zeichnungen Gedanken, Freude oder Trauer über bestimmte Ereignisse aus. Malen ist daher eine natürliche Form des Selbstausdrucks und der (inneren) Kommunikation. Durch das Malen erzählen Kinder Geschichten, die sie durch Sprache möglicherweise noch nicht ausdrücken können. Ihre Maltechniken entwickeln sich dabei im Laufe der Zeit weiter: Zu Beginn fördern grobmotorische Bewegungen ihre Grobmotorik, während feinere Zeichnungen die Feinmotorik vorbereiten und später schulen. Auch ihr räumliches Vorstellungsvermögen wird auf diese Weise weiterentwickelt. Und so konzentrieren sich Kinder beim Malen immer voll und ganz auf das, was sie ausdrücken möchten.
Die wichtigsten Gründe, warum Kinder gerne malen, auf einen Blick:
Selbstausdruck und Kreativität: Kinder nutzen das Malen, um ihre Fantasie und Kreativität auszudrücken. Es bietet ihnen die Freiheit, ihre inneren Welten und Vorstellungen auf Papier zu bringen.
Emotionale Verarbeitung: Malen hilft Kindern, ihre Emotionen zu verarbeiten. Sie können ihre Freude, Ängste, Wut und Liebe durch Farben und Formen ausdrücken.
Entwicklung der Feinmotorik: Beim Malen üben Kinder den Umgang mit Stiften, Pinseln und anderen Malwerkzeugen, was ihre feinmotorischen Fähigkeiten fördert.
Konzentration und Geduld: Malen erfordert Fokus und Durchhaltevermögen. Kinder lernen, sich längere Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren und diese zu Ende zu bringen.
Erfolgserlebnisse: Fertige Kunstwerke geben älteren Kindern ein Gefühl von Stolz und Erfolg. Das echte Interesse sowie positives Feedback von Erwachsenen verstärkt diese Gefühle. Kleinkinder sind anders. Ihnen liegt noch wenig am Ergebnis, vielmehr steht das eigentliche Tun, das Ausprobieren und Experimentieren im Vordergrund und ist viel wichtiger als das Ergebnis. Sie lieben das Maschen, Schmieren und Kleckern mit Farbe und üben wie nebenbei das Kritzeln. Und wenn sie fertig sind, sind sie fertig. Das entstandene Bild ist ihnen nicht wichtig und braucht daher auch keine Bestätigung oder Rückmeldung durch den Erwachsenen.
Entwicklungsbedingte Faktoren beeinflussen die Kinderzeichnungen
Die Art und Weise, wie Kinder zeichnen, wird stark von ihrer Entwicklungsstufe beeinflusst. Diese Faktoren bestimmen, welche Themen sie wählen und wie detailliert ihre Zeichnungen sind:
- Kritzelphase (ca. 2-4 Jahre): Kinder in diesem Alter kritzeln meist wild und ohne erkennbare Formen. Es ist ein explorativer Prozess, bei dem sie die Bewegung von Händen und Werkzeugen erforschen.
- Vorschematische Phase (ca. 4-7 Jahre): Kinder beginnen, erkennbare Formen zu zeichnen, wie Menschen oder Häuser. Diese Zeichnungen sind oft schematisch und einfach.
- Schematische Phase (ca. 7-9 Jahre): Zeichnungen werden detaillierter und organisierter. Kinder entwickeln typische Darstellungsweisen, wie ein Haus mit Dach und Fenstern.
- Realistische Phase (ca. 9-12 Jahre): Kinder streben nach realistischeren Darstellungen. Sie achten mehr auf Proportionen und Details und versuchen, ihre Zeichnungen realistischer aussehen zu lassen.
Die Fähigkeit, kleine und präzise Bewegungen auszuführen, verbessert sich mit der Zeit. Jüngere Kinder haben oft Schwierigkeiten, feine Details darzustellen, ihnen geht es vielmehr um die lustvolle Auseinandersetzung, während älteren Kindern das Zeichnen präziser Details aufgrund der Übung und Erfahrung viel leichter fällt.
Die Fähigkeit, Formen, Farben und Muster zu erkennen und zu unterscheiden, beeinflusst die Qualität der Zeichnungen. Diese Fähigkeit entwickelt sich mit der Zeit und durch Übung.
Kinder verarbeiten sehr oft ihre sozialen Erlebnisse und Emotionen durch ihre Zeichnungen. Ihre Bilder können wertvolle Einblicke in ihr emotionales Wohlbefinden und ihre sozialen Beziehungen bieten. Jedoch sollten päd. Fachkräfte sich davor hüten zu schnelle Interpretationen vorzunehmen. Eine dialogische Haltung und echtes Interesse am Kind sind gute Helfer, um mit dem Kind über das gemalte Bild ins Gespräch zu kommen.
Die Umgebung und Kultur, in der ein Kind aufwächst, beeinflussen die Themen und Stile seiner Zeichnungen. Kinder spiegeln oft das wider, was sie in ihrer Umgebung sehen und erleben.
Persönliche Vorlieben und Erlebnisse prägen ebenso die Motive, die Kinder wählen. Ein Kind, das Tiere, Autos oder Insekten liebt, wird wahrscheinlich viele Tier-, Auto- oder Insektenzeichnungen anfertigen. Ein Kind das mit seinen Eltern viel Zeit in der Holzwerkstatt, in Musen oder dem eigenen Garten oder einem Wald verbringt wird wahrscheinlich seine Erfahrungen mit diesen Erlebnissen in seinen Zeichnungen oft und intensiv zum Ausdruck bringen. Und mit jeder Zeichnung verfeinert sich die Kompetenz das Gesehene oder Erlebte zu reproduzieren.
Zusammengefasst fördert das Malen bei Kindern folgende kognitive Fähigkeiten:
- Kreativität und räumliches Vorstellungsvermögen
- Grob- und Feinmotorik
- Hand-Auge-Koordination und die Augen-Muskel-Kontrolle
- Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltevermögen
- Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zur Selbstkritik
- u.v.m.
Die verschiedenen Entwicklungsstufen einer Kinderzeichnung möchte ich zum Schluss dieses Beitrags kurz zusammenfassen:
Jedes Kind durchläuft verschiedene Phasen der Malentwicklung. Diese Phasen können sich in Alter und Ausprägung unterscheiden, und es ist wichtig, die individuellen Unterschiede jedes Kindes zu berücksichtigen.
Zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr beginnt die Phase des Spurenschmierens. In dieser Zeit matschen Kinder gerne mit flüssigen und breiigen Massen wie Wasser, Matsch, Brei oder Sand. Diese ersten zeichnerischen Versuche resultieren aus der Freude an der Bewegung und dem Hinterlassen von Spuren. Daher können wir dieses erste Spurenschmieren auch beim Essen beobachten, wenn die Kleinstkinder mit ihrem Finger und mit Hilfe der Tomatensoße auf der Tischplatte Spuren hinterlassen und damit herumschmieren.
In der Kritzelphase entdecken Kinder, dass sie mit einem Stift oder Pinsel Spuren hinterlassen können. Sie probieren verschiedene Bewegungen und Techniken aus, von groben Bewegungen aus dem Arm bis hin zu kreisartigen Formen aus dem Handgelenk. Am Ende dieser Phase verfügen sie über alle Grundelemente der grafischen Darstellung: Strich, Punkt, Kreis, Kreuz, Spirale und Urknäuel. Die Zeichnungen haben noch keine konkrete Bedeutung, und die Farben spielen für das Kind keine Rolle.
Am Ende der Kritzelphase beginnen Kinder, Menschen oder Lebewesen als sogenannte Kopffüßler darzustellen. Der Kopf wird als hervorstehendes Körperteil wahrgenommen, während die Beine für die Bewegung stehen. Diese Phase markiert den Beginn des bewussten Benennens von Personen.
In dieser Phase zeichnen Kinder ihre Bilder detaillierter. Menschen bekommen Finger, Füße, Haare und Wimpern, und Striche am oberen und unteren Rand des Bildes stellen Himmel und Erde dar. Das Kind lernt, immer mehr Elemente in seine Bilder zu integrieren und schmückt seine Zeichnungen immer mehr aus.
Die Phase der Werkreife zeichnet sich durch detaillierte Zeichnungen aus, die kleine Szenen oder Geschichten darstellen. Farben erhalten nun eine größere Bedeutung, und die Bilder vermitteln eine Botschaft. Die grundlegenden zeichnerischen Fähigkeiten sind erreicht.
In dieser Phase beginnen Kinder, Gegenstände transparent zu malen, sodass verborgene Elemente sichtbar werden. Die Darstellungen sind nicht immer realitätsgetreu, sondern orientieren sich an der eigenen Wahrnehmung des Kindes. So kann man in Autos, Flugzeuge oder ein Haus „hineinsehen“.
In dieser Phase werden die Bilder noch detaillierter und realistischer. Kinder achten genauer auf Unterschiede zwischen verschiedenen Objekten und versuchen, ihre Bilder „fotografisch genau“ darzustellen und achten auf viele kleine Details.
Kinder malen nicht einfach nur so. Anlässe für das Malen sind in der Regel folgende:
- Motorischer Anlass: Der natürliche Drang nach Bewegung
- Sachanlass: Erlebnisse oder Elemente, die das Kind beschäftigen oder die es erlebt hat
- Emotionaler Anlass: Gefühle und Empfindungen die das Kind im Inneren bewegen
- Materieller Anlass: Verfügbarkeit von (besonderes interessanten oder ansprechenden) Materialien
Das Malen und Zeichnen ist für Kinder ein bedeutendes Ausdrucksmittel. Überstürzte Interpretationen oder gar Diagnosen durch pädagogische Fachkräfte sollten jedoch vermieden werden, denn Kinderbilder sind immer einzigartig. Oft reflektieren sie die individuelle Erlebniswelt und die Emotionen des Kindes, oft sind sie jedoch auch einfach nur Ausdruck von Experimentierfreude und Selbstwirksamkeit. Fachkräfte sollten die Kreativität der Kinder daher täglich unterstützen, indem sie reichhaltige Möglichkeiten für das kreative Tun der Kinder bereit stellen. Die Einrichtung eines Kinderateliers wäre wünschenswert, ist jedoch oft aufgrund von Raumkapazitäten nicht möglich. Gleichwohl können auch einfache Raum-in-Raum-Möglichkeiten gefunden werden, um eine Staffelei aufzustellen oder großflächiges Malen zu ermöglichen. Wo ein Wille ist auch ein Weg!
Quellenverzeichnis
- Schuster M. (2010). Kinderzeichnungen: Wie sie entstehen, was sie bedeuten, 3.Auflage. Reinhardt Verlag
- Gernhardt A. (Herausgeber), Balakrishnan R. (Herausgeber), Drexler H. (2014) Kinder zeichnen ihre Welt: Entwicklung und Kultur, Verlag das Netz