Die Natur als Erlebnis- und Bildungsraum

Der Wald, der Garten, die Natur bieten durch ihre Vielfältigkeit und damit verbundenen vielfältigen Möglichkeiten eine reiche Spiel- und Lernumgebung für Kinder. Sie laden zum Erfahren, Entdecken, Gestalten, Hören, Riechen, Tasten, Fühlen und auch Schmecken ein. Alle Sinne werden stimuliert, Motivation und Kreativität angeregt und gleichsam auch gefördert, wodurch ein ganzheitliches Lernen ermöglicht wird. Auch das Erleben der Jahreszeiten und der damit verbundenen Veränderungen, sowie das Entdecken von Naturphänomenen bereichern die individuelle Entwicklung des Kindes. Daher erfreuen sich Wald- und Hofkindergärten an immer mehr Interesse an ihrer Arbeit.

Herbert Renz-Polster und Gerald Hüther (2022), der eine Kinderarzt der andere Hirnforscher, haben sich mit dem Thema „Wie Kinder heute wachsen. Die Natur als Entwicklungsraum“ auseinandergesetzt und identifizieren vier fundamentale Quellen der kindlichen Entwicklung, die durch Naturerfahrungen gefördert werden: Unmittelbarkeit, Freiheit, Widerständigkeit und Verbundenheit. Unmittelbarkeit bezieht sich auf das direkte sensorische Erleben, das Bewegung und Handlungen einschließt und den Kindern ein Bewusstsein für sich selbst vermittelt. Freiheit beschreibt die Möglichkeit, selbstwirksam zu sein, ohne die Einschränkungen, die in vorstrukturierten und von Erwachsenen eingerichteten Innenräumen oder auf Spielplätzen existieren. 

Das Spielen in und Erkunden der Natur, im eigenen Tempo und auf die eigene Art und Weise ist Ihrer Auffassung nach für die Entwicklung unerlässlich. Diese Auffassung teilt auch Ulrich Praedel, der in Lübeck mit Kindern aus Kita und Grundschule Naturprojekte durchführt, mit ihnen Insektenhotels und Fledermauskästen baut und Naschgärten anlegt. 

„Die Naturpädagogik lädt die Kinder ein ihre natürlichen Grenzen zu entdecken. Sie werden herausgefordert sich kreativ einzubringen, um Problemlösungsfähigkeiten zu entwickeln. Diese Herausforderungen stärken die Selbstständigkeit und das Selbstvertrauen der Kinder und leistet gleichzeitig einen Beitrag zum Naturschutz, denn was man bzw. die Kinder lieben lernen, schützen sie später auch“, so der Streuobstwiesenpädagoge.

Die Natur und das Wohlbefinden

Jeder der schon einmal einen längeren Waldspaziergang absolviert hat weiß, wie wohltuend und vor allem stimulierend der Aufenthalt in der Natur sein kann und welchen positiven Einfluss er auf das Wohlbefinden hat. Daher gärtnern auch so viele Menschen in ihren Gärten oder kümmern sich um Bäume, Naschgärten und Blumenbeete die in Großstädten angelegt werden, um zumindest ein kleines Stückchen Natur in die Stadt zu holen. Naturräume inspirieren, motivieren und strahlen Ruhe sowie Schönheit aus. Für Kinder bieten Naturräume den nötigen Raum für Entdeckungen und fördern die körperliche Anstrengungsbereitschaft. Auch bieten der Wald, das Außengelände, die Streuobst oder Wildblumenwiese, der Garten oder andere Naturräume Rückzugsmöglichkeiten und schaffen eine Umgebung, in der sie ihren inneren Bedürfnissen unbeschwert und selbstwirksam nachgehen können.

Naturpädagogik

Das Ziel der Naturpädagogik ist es, so Ulrich Praedel, Biotopexperte und Streuobstwiesenpädagoge aus Lübeck, „Kindern den Zugang zur Natur zu ermöglichen, ausgedehnt, regelmäßig und fantasievoll. Ein weiteres Ziel ist es auch, Umweltschutz und kindliche Neugierde bei den Naturbegegnungen und in den Naturräumen wie z.B. auf der Streuobstwiese oder im Biotop miteinander zu verknüpfen. Wichtig ist jedoch, dass die Kinder der Natur spielerisch begegnen können und sich durch praktische Erfahrung und Entdeckung ein Wissen über ökologische Zusammenhänge aneignen können.“

 

Einfluss der Natur auf die motorische Entwicklung

Der Aufenthalt in der Natur bietet jedem Kind ideale Bedingungen für die motorische Weiterentwicklung seiner Kompetenzen. Sie ermöglicht spontane, uneingeschränkte und vielfältige Bewegungen wie Klettern, Balancieren, Kriechen, Springen und Rennen, sowie auch für Bewegungswagnisse wie z.B. Höhe oder Tiefe erleben. Natürliche, unebene Untergründe laden zur Schulung des Gleichgewichts und der Körperwahrnehmung sowie Geschicklichkeit ein. Kinder lernen so, ihre Kräfte richtig einzuschätzen, während sie ihre körperlichen Grenzen testen und erfahren. 

Einfluss der Natur auf die kognitive Entwicklung

In der Natur werden Kinder durch vielfältige Phänomene und Beobachtungen zu Fragen angeregt und entwickeln so eine intrinsisch motivierte Neugierde Dinge und Phänomene zu erforschen. „Wo wohnen Eidechsen und was fressen sie?“ Sind da nur zwei Fragen die Kinder Ulrich Praedel beim gemeinsamen Bauen einer Eidechsenburg fragen. Dabei entwickeln die Kinder beim gemeinsamen Tun wie von selbst Lernfreude, die dazu führt , dass sie das neu Gelernte besser abspeichern und auch später in der Kita oder Schule noch abrufen können. Durch das praktische Tun anstelle von theoretischen Erklärungen aus dem Lehr- oder Bilderbauch erweitern sie kontinuierlich ihre Sach- und Methodenkompetenzen. 

Einfluss der Natur auf die kreative Entwicklung

Das Spielen in Naturräumen oder im Wald fördert auch die kreative Entwicklung von Kindern, indem es ihnen ermöglicht, ohne vorgefertigte Materialien oder Spielzeuge aktiv zu werden. Die Fantasie wird angeregt, und die Kinder lernen, flexibel mit verschiedenen Utensilien, Fundstücken und Materialien umzugehen, erkunden dessen Einsatzmöglichkeiten und Bedeutungen. Auch wird die Umgebung in das Spiel oder die gemeinsame Aktion integriert, indem z.B. das Weidentippi zum Verkaufsstand für Matchkuchen wird oder in der Matschküche Gänseblümchensuppe gekocht wird. Das Experimentieren und Beobachten auf der Streuobstwiese fördert die kreative Auseinandersetzung mit den Insekten und dessen Lebensraum.

Einfluss der Natur auf die emotionale Entwicklung

Durch die vielfältigen positiven Wahrnehmungs- und Explorationserlebnisse in der Natur können Kinder die Schönheit der Natur entdecken und einen positiven emotionalen Zugang zu ihr erhalten. Sie erfahren ihre körperlichen Grenzen und Möglichkeiten direkt und können sich ohne die Einschränkungen und Anforderungen von Erwachsenen ausprobieren. Diese positiven Erfahrungen stärken die Ich-Wahrnehmung und fördern die Selbstwirksamkeit und tragen so zu einer positiven emotionalen Entwicklung bei. 

Einfluss der Natur auf die soziale Entwicklung

Viele Studien belegen, dass die Natur die emotionale und auch soziale Kompetenz von Kindern positiv beeinflusst, wie man auch im Buch von Renz-Polster und Hüther nachlesen kann. Dies liegt unter anderem an der entspannenden Wirkung der Natur, die zu einer höheren emotionalen Stabilität führt. Selbstbewusste Kinder interagieren sicherer und empathischer mit ihren Spielkameraden. Der achtsame Umgang mit der Natur fördert auch den respektvollen Umgang mit anderen Menschen. Dies bestätigt auch Ulrich Pradel aus seinen zahlreichen Erfahrungen mit Kindern in den Naturräumen. 

Quellenverzeichnis

  • Renz-Polster H.; Hüther G. (2022). Wie Kinder heute wachsen. Natur als Entwicklungsraum. Ein neuer Blick auf das kindliche Lernen, Fühlen, Denken. Beltz Verlag
  • Ulrich Praedel, Biotopexperte und Streuobstwiesenpädagoge www.biotopmaker.de
  • Moser, M. (2022). Waldeskind: Die Bedeutung von Wald und Natur für die Entwicklung unserer Kinder. Servus Nordrhein-Westfalen

Ursula Günster Schöning ist Prozessbegleiterin und systemische Organisationsentwicklerin, Senior-Coachin QRC und pädagogische Koordinatorin. Als Sozialfachwirtin, Erzieherin und Führungskraft war sie in der Elementarpädagogik tätig. 2006 gründete sie das Fortbildungsinstitut ERFOR und begleitet seitdem Teams bei Veränderungsprozessen. Zudem arbeitet sie als Weiterbildnerin, Speakerin, Moderatorin und Autorin.

Webseite: www.ursula-schoening.de | Mail: info@ursula-schoening.de

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