Kognitive Entwicklung verstehen – Kinder im Denken begleiten
Was brauchen Kinder, um sich in einer ungewissen, komplexen Zukunft zurechtzufinden? Neben emotionaler Sicherheit und sozialer Kompetenz ist es vor allem die Fähigkeit zu denken – kreativ, flexibel, lösungsorientiert. Kognitive Bildung beginnt dabei nicht erst in der Schule, sondern im frühkindlichen Alltag. Pädagogische Fachkräfte nehmen hier eine Schlüsselrolle ein: Sie schaffen Erfahrungsräume, beobachten Denkprozesse und regen durch gezielte Impulse kindliches Forschen an.
Was bedeutet kognitive Bildung in der frühen Kindheit?
Kognitive Entwicklung umfasst das kindliche Denken, Problemlösen, Erinnern, Planen und das Verständnis von Sprache, Symbolen und Konzepten. Sie ist eng verwoben mit der gesamten frühkindlichen Entwicklung und beeinflusst, wie Kinder ihre Umwelt wahrnehmen, interpretieren und mit ihr in Beziehung treten.
Ein fundiertes Verständnis der kognitiven Entwicklungsstadien basierend auf der Entwicklungspsychologie hilft pädagogischen Fachkräften, Angebote passgenau zu gestalten. Doch wichtiger als theoretisches Wissen ist die Haltung: Kinder als aktive Konstrukteure ihres Wissens zu sehen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.
Dem Denken zuhören – frühe Hinweise ernst nehmen
In der Phase zwischen zwei und sechs Jahren sprechen Kinder oft laut mit sich selbst – sie kommentieren, was sie tun, denken laut, experimentieren mit Sprache. Was wie bloßes „Geplapper“ klingt, ist in Wahrheit ein Fenster in die kindliche Kognition. Hier entsteht der innere Monolog, das Fundament späteren reflektierten Denkens.
Fachkräfte, die diesen Äußerungen aufmerksam zuhören, erhalten wertvolle Hinweise darauf, wie Kinder Erfahrungen verarbeiten, wie sie Zusammenhänge verstehen – oder missverstehen. Das laute Denken bietet somit die Chance, kindliche Denk- und Lernprozesse zu begleiten, zu unterstützen und gezielt zu fördern.
Kognitive Entwicklung durch Spiel und Experiment
Kognitive Bildung geschieht nicht durch Belehrung, sondern durch Tun. Wenn Kinder mit einer Rampe, einem Auto und einer Holzkugel experimentieren, machen sie zentrale Erfahrungen: Was rollt, was nicht – und warum? Sie formulieren Hypothesen, testen, verändern Parameter, vergleichen Ergebnisse. Das Spiel wird zur Denkwerkstatt.
Diese „Wenn-dann“-Spiele fördern grundlegende Denkprozesse: Kinder lernen Ursache und Wirkung kennen, erkennen Muster, planen Handlungen und reflektieren ihre Erfolge. Wer die eigene Handlung mit einem Ergebnis verknüpfen kann, begreift, dass Denken wirksam ist – eine elementare Erkenntnis.
Wichtig: Eingriffe von außen, gut gemeinte Hilfen oder vorschnelle Lösungen durch Erwachsene können diesen Lernprozess stören. Pädagogische Fachkräfte begleiten besser durch Fragen, Impulse und eine forschende Haltung als durch Anleitungen.
Problemlösen als Zukunftskompetenz
Die Fähigkeit, Probleme zu erkennen, zu analysieren und kreative Lösungen zu finden, gilt als eine der wichtigsten Kompetenzen des 21. Jahrhunderts. Im Alltag von Kita-Kindern zeigen sich diese Fähigkeiten in kleinen Momenten: beim Bau eines Turms, der nicht stehen bleibt, beim Verhandeln um eine Schaufel oder beim kreativen Gestalten eines Bildes und selbst beim zusammensetzen eines Puzzles.
Fachkräfte fördern diese Kompetenz, indem sie Kinder ermutigen, Schwierigkeiten selbst zu durchdenken, alternative Wege zu suchen und Entscheidungen zu treffen. Auch Alltagsaufgaben wie das gemeinsame Decken des Tisches oder das Planen eines Ausflugs können gezielt genutzt werden, um Kinder an Planung, Reflexion und Mitbestimmung heranzuführen.
Sprache als Werkzeug des Denkens
Sprache und Denken sind untrennbar miteinander verbunden. Wer denkt, braucht Worte – um Gedanken zu sortieren, zu benennen und mit anderen zu teilen. Eine zentrale Aufgabe pädagogischer Fachkräfte ist es daher, Sprache gezielt zu fördern und Denkprozesse zu versprachlichen.
Das geschieht durch aktives Zuhören, durch Fragen, die zum Weiterdenken anregen („Was glaubst du, warum das so ist?“), durch Modellieren eigener Denkprozesse („Ich überlege gerade, wie das funktioniert …“) und durch Räume für Austausch, etwa im täglichen Morgenkreis, im Kinderparlament oder auch in spontanen Gesprächsrunden.
Kognitive Bildung in der Praxis – konkret und alltagsnah
Ein anregender kognitiver Alltag in der Kita braucht keine aufwendigen Programme, sondern einen feinfühligen Blick für Gelegenheiten:
- Kinder beim Experimentieren mit Wasser, Sand oder Licht begleiten
- Materialien bereitstellen, die zum Forschen einladen (Rampen, Magnete, Spiegel, Alltagsgegenstände)
- Gezielte Impulsfragen stellen, die Denken herausfordern
- Kinder zum Planen und Reflektieren ermutigen
- Räume schaffen, in denen Kinder ihre Beobachtungen mitteilen können
Auch kreative Angebote wie Rollenspiele, Bauen, Basteln, Geschichten erfinden oder Gedächtnisspiele sind wichtige Bausteine kognitiver Förderung – sofern sie nicht als „Beschäftigung“, sondern als Denkgelegenheiten verstanden werden.
Fazit: Bildung beginnt im Kopf – und im Miteinander
Kognitive Bildung ist mehr als das Fördern von Intelligenz – sie ist die Einladung, über die Welt nachzudenken, Erfahrungen einzuordnen und Lösungen zu entwickeln. Pädagogische Fachkräfte, die Kindern beim Denken zuhören, ihnen Zeit und Raum für selbst gesteuerte Prozesse lassen und durch dialogische Begleitung herausfordern, leisten einen zentralen Beitrag zur Entwicklung dieser Schlüsselkompetenz.
In einer Welt, die sich ständig verändert, sind denkende, reflektierte, kreative Menschen gefragt. Die Grundlagen dafür werden schon im Kindesalter gelegt – und Kitas können dafür Orte voller Impulse, Möglichkeiten und echter Auseinandersetzung sein.
Originalbeitrag erschienen in:
Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel „Das Denken verstehen – Kognitive Entwicklung“ von Ursula Günster-Schöning, erschienen in der Fachzeitschrift klein&groß, Ausgabe 09/2023.
Mein Buchtipp:
- Ursula Günster-Schöning: Jetzt lerne ich sprechen. Die Sprachentwicklung von Kindern verstehen und fördern. Duden Verlag, 2021.
- Das Buch bietet nicht nur theoretischen Hintergrund, sondern vor allem zahlreiche Praxisimpulse zur sprachlich-kognitiven Förderung im Alltag von Krippe und Kita.