Emotionale Intelligenz – Die stille Stärke im Kita-Alltag
Was macht ein Kind stark für das Leben? Neben kognitiven Fähigkeiten ist es vor allem die emotionale Intelligenz, die darüber entscheidet, wie Kinder mit sich und anderen zurechtkommen. Gefühle zu verstehen, auszudrücken und angemessen mit ihnen umzugehen, ist eine Schlüsselkompetenz – nicht nur im späteren Schul- und Berufsleben, sondern bereits in der Kita. Pädagogische Fachkräfte spielen dabei eine entscheidende Rolle: Sie begleiten Kinder im Aufbau eines „Gefühlslexikons“ und fördern ihre sozialen und emotionalen Fähigkeiten mit Blick, Haltung und Methodenvielfalt.
Was bedeutet emotionale Intelligenz überhaupt?
Emotionale Intelligenz beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen, zu benennen und zu regulieren (vgl. Goleman, 2006). Sie ist nicht angeboren, sondern entwickelt sich durch Beziehungserfahrungen und emotionale Resonanz. Besonders in den ersten sechs Lebensjahren legen Kinder den Grundstein für ein gesundes Selbstbild und soziale Kompetenz.
Emotionale Intelligenz umfasst vier zentrale Teilkompetenzen:
- Emotionswahrnehmung – z. B. „Ich merke, dass ich wütend bin.“
- Emotionsregulation – z. B. sich beruhigen, Trost suchen oder Rückzug nutzen
- Empathie – z. B. Mitgefühl zeigen, Perspektiven wechseln
- Soziale Fertigkeiten – z. B. Konflikte klären, Spielregeln aushandeln, Hilfe anbieten
Diese Fähigkeiten entfalten sich im sozialen Miteinander, beim freien Spiel, bei kreativen Angeboten – und nicht zuletzt durch feinfühlige Begleitung durch Erwachsene.
Gefühle in Worte fassen – ein langer Lernweg
Während Kinder früh lernen, Dinge wie „Ball“ oder „Saft“ zu benennen, ist es ungleich schwieriger, innere Zustände wie Angst, Wut oder Scham in Worte zu fassen. Emotionen sind oft körperlich spürbar: Der Bauch kribbelt, die Kehle schnürt sich zu. Doch das passende Wort dazu fehlt. Kinder brauchen Erwachsene, die diesen Prozess sprachlich begleiten, z. B. durch Spiegeln:
„Das hat dich ganz schön erschreckt, oder?“
„Du bist traurig, weil dein Turm umgefallen ist – das verstehe ich.“
So entstehen die ersten Begriffe im kindlichen Gefühlswortschatz. Analog zum Wortschatzlexikon entwickelt sich ein „Emotionslexikon“, das Kinder brauchen, um sich selbst und andere zu verstehen – ein wichtiger Schritt in Richtung Empathie.
Emotionale Intelligenz fördern – mit Herz und Haltung
Im Kita-Alltag bieten sich zahlreiche Gelegenheiten, emotionale Intelligenz alltagsintegriert zu fördern:
- Emotionskarten im Morgenkreis laden Kinder ein, sich mitzuteilen: „Heute bin ich …“
- Gefühlswürfel oder Emotionsbarometer visualisieren die Stimmung – auch nonverbal
- Bücher wie Das Farbenmonster oder Irgendwie Anders regen Gespräche über Gefühle an
- Puppenspiele, Rollenspiele oder Geschichtensäckchen ermöglichen Perspektivwechsel
- Kinderkonferenzen und Beteiligung stärken Selbstwirksamkeit und das soziale Miteinander
Auch kreative Angebote wie Musik, Malen oder freies Gestalten fördern Ich-Wahrnehmung, Ausdruckskraft und Selbstvertrauen. Denn wer sich als wirksam erlebt, kann auch seine Gefühle besser regulieren.
Übergänge begleiten – Gefühle ernst nehmen
Gerade im Übergang von der Familien in die Kita und später von der Kita zur Grundschule zeigen sich emotionale Kompetenzen besonders deutlich – und werden auch besonders gebraucht. Trennungen, Abschiede, Unsicherheit über das Neue: Diese Phase ist oft mit starken Emotionen verbunden.
Kinder, die gelernt haben, ihre Gefühle zu benennen und zu regulieren, meistern Übergänge leichter. Daher wird auch in jeder Kita mit einem Eingewöhnungskonzept (Familien-Kita) und in der Regel auch einem Übergangskonzept (kita/Grundschule) gearbeitet. Fachkräfte können Kinder auch Eltern bei diesen wichtigen Transitionen gezielt unterstützen. Beispielhaft einige Idee für den Übergang Kita / Grundschule:
- Mutbriefe von Eltern stärken das emotionale Band und fördern Zuversicht
- Übergangsportfolios mit Bildern, Aussagen und Lieblingsdingen des Kindes ermöglichen Kontinuität
- Gefühlsmonster malen hilft, Ängste oder Stolz auszudrücken
- Rituale und Abschiedsfeiern geben Halt und Orientierung
- Kooperation mit der Grundschule erleichtert Ankommen und Beziehungsaufbau
So wird der Übergang zu einem gelingenden Entwicklungsprozess, nicht zu einem Bruch.
Es beginnt mit der Beziehung
Emotionale Intelligenz kann nur in Beziehung wachsen. Kinder lernen durch Vorbilder, Resonanz und Spiegelung. Eine liebevolle Bezugsperson, die Emotionen zulässt, benennt und regulierend begleitet, gibt dem Kind Orientierung – selbst in stürmischen Gefühlen.
Prof. Dr. Franz Resch bringt es auf den Punkt:
„Emotionale Intelligenz ist die Fähigkeit, Gefühle bei sich und anderen zu erkennen, zu benennen und diese in der Wechselwirkung mit anderen Menschen zu regulieren – um daraus ein statthaftes Bild von sich selbst zu entwickeln.“
Impulse für die Praxis
- Haltung statt Methode: Es geht nicht um Programme, sondern um Beziehung, Resonanz und Präsenz.
- Sprache als Brücke: Emotionen sichtbar und besprechbar machen – ohne zu bewerten.
- Alltag nutzen: Gefühle sind immer da – wir müssen nur hinschauen und sie aufgreifen.
- Kreative Mittel einsetzen: Musik, Bewegung, Kunst – Kinder drücken sich vielfältig aus.
- Raum für Mitbestimmung schaffen: Beteiligung stärkt Selbstbewusstsein und soziale Sicherheit.
Quelle und Buchtipps:
- Ursula Günster-Schöning: Emotionale Intelligenz – Die Klugheit der Gefühle
(Fachbeitrag, 2025, veröffentlicht im Rahmen des Webinars „Gemeinsam stark – Emotionale und soziale Kompetenzen im Übergang von Kita zur Grundschule fördern“, Landkreis Peine) - Daniel Goleman: Emotionale Intelligenz (2006) – ein Klassiker, der die Relevanz emotionaler Kompetenzen auch für die frühkindliche Bildung deutlich macht.
- Petra Kummermehr (2025) Emotionale Intelligenz im Alltag fördern – Mitmachgeschichten und Praxisideen für starke Kinder, Don Bosco Verlag